HEINER MÜLLER IM SPIEGEL DER NACHRUFE
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3.3.3 Charakterisierung Heiner Müllers

Die Zigarre und das Whiskyglas, ein schwarzes Jackett - das waren die Masken und Markenzeichen Heiner Müllers. Die Verfasser vieler Nachrufe verzichten nicht auf eine Charakterisierung durch diese äußeren Merkmale. Nur Arno Widmann greift sie auf und interpretiert Müllers Auftreten:»Müller war auch eine Kitschfigur. Das immer schwarze Outfit, die Zigarre und das Whiskyglas. Das waren keine mühsam zu entziffernden Zeichen, das war eine funktionstüchtige Blinkanlage, die ständig nur signalisierte:Ein Mann ein Kerl, ein Mann, ein Kerl.« 86

Doch läßt sich im persönlichen Auftreten Müllers eine ganz andere Persönlichkeit erkennen, die in den letzten Jahren seines Lebens zu erkennen ist. Während er um 1960 »selbst dann noch, wenn er charmierte«, »unnahbar« 87 war, wirkte er in Fernsehinterviews aus den 90er Jahren leise, zurückhaltend, nicht überheblich. »Wer nur seine Stücke kennt, kann sich nicht vorstellen, was für ein höflicher und taktvoller Mann er war.« 88 Er versucht nicht, seine Zuhörer durch Äußerlichkeiten zu beeindrucken. »Müller mußte sich nicht im konventionellen Sinn aufführen wie ein Intendant. Er war immer legitimiert. Seine Arbeitsweise als künstlerischer Leiter war nicht hierarchisch.« 89

Müller ist sensibel gegenüber dem Schicksal der Menschen. »Es ist ein kleines Buch, das auf wenigen Seiten die Biographien von dreißig jungen Widerstandskämpfern beschreibt, die im Kampf gegen Hitler umgekommen waren. Ich sah, während ich las, Heiner Müller nur wenige Meter vor mir. Er weinte.« 90

Ist seine Freundlichkeit eine Maske, berechnet und kalt? Oder ist sie der »eigentliche« Heiner Müller? Letzteres bejaht Wolf Biermann, auch wenn er betont, daß der Dramatiker den Kontrast im Zynismus sucht:»Die Freundlichkeit war Selbstschutz, lese ich, ich weiß nicht. Sicher hat er das auch so gesagt, denn er hätte es nicht ertragen, pur als zärtlicher, liebenswürdiger Kerl dazustehen. Nein, da mußte ein Schuß Wolfszynismus immer mit rein.« 91

Ein Grund für die Ambivalenz zwischen seinen Werken und seinem Auftreten:Müller will sich durch seine Persönlichkeit nicht festlegen. Dies deutet Arno Widmann an:»Müllers freundliche Höflichkeit im persönlichen Umgang war für beide Lager seiner Sympathisanten - für die Liebhaber seiner Sottisen, wie für die blinden Verehrer seines Pathos - gleich irritierend. Beiden war es nicht nur peinlich, daß er mit der anderen Fraktion Umgang hatte, sondern unangenehm war ihnen vor allem, daß er kaum jemanden abstieß, so wenig auf Exklusivität gab.« 92

Heiner Müller bleibt ein Reisender, ein Fremder. Weder können wir seine Person lückenlos aus der Fragmenten erkennen, noch ordnet er sich unserer Welt zu. Seine Bestimmung:»Mir selbst so fremd wie möglich« 93 . So fragmentarisch wie seine Kunst, so vielgesichtig ist seine Persönlichkeit.

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