HEINER MÜLLER IM SPIEGEL DER NACHRUFE
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3.3.1 Sozialismus und die DDR

Heiner Müller bekennt sich zu den Idealen des Sozialismus, schreibt aber immer wieder gegen die Realität der DDR. Müllers Sprachformen entsprechen nicht denen des sozialistischen Realismus. Auch seine Betrachtung der Geschichte des Kommunismus paßt nicht ins positivistische Bild der DDR-Ideologie.

Wolf Biermann zeigt, was für die DDR-Kulturorgane nicht akzeptabel ist. Der Marxismus sieht zwei Wege der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft:den guten - Sozialistischen - und den schlechten, nämlich die Apokalypse durch die »totale() Barbarei« 59 . Der sozialistische Künstler nimmt nun den Weg des Sozialismus als Basis seines Werks, Müller hingegen ist Zyniker:er sieht nur eine Zukunft, den Untergang. » 'Ändere die Welt:sie braucht es«, heißt eine fromme Parole des Vaters und Übervaters Brecht. Müllers () Antwort():»Der Mensch ist nicht zu ändern - also laß es!« 60

So läßt sich Müllers Bindung an den Marxismus mit seiner Absage an den Versuch seiner Realisierung in der DDR nachvollziehen. Müller richtet seinen Blick auf die »Opfer der Geschichte« 61 . Gerhard Stadelmaier hingegen sieht keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Müllers Ideologie und der DDR-Realität:»Müllers Schwierigkeiten mit der DDR, Aufführungsverbote, Rauswurf aus dem Schriftstellerverband, Wiederaufnahme, Staatspreis, waren gradueller, nie prinzipieller Natur.« 62 Die Probleme Müllers mit der Führung seines Staates rührten vielmehr in Müllers Erkenntnis, daß seine Ideologie futuristisch bleibt. Für die DDR hingegen existierte sie in der Realität:»Die DDR hielt Marx für einen Pionier der anwesenden Zukunft. In [...] [Müllers] Denkspiel übernahm Marx die Rolle eines Pioniers der Abwesenheit [...]. Kommunismus auf Entzug. Deshalb war für Müller der Kommunismus die reine Freude.« 63

Während Biermanns Perspektive im künstlerischen Werk Müllers Bestätigung findet, läßt sich Stadelmeiers Tendenz im Leben des DDR-Bürgers Müller nachvollziehen:Müller schildert in «Krieg ohne Schlacht» seine Probleme mit den Staatsautoritäten oftmals voll (zynischer) Gleichgültigkeit. Auch der nachträgliche Zurückzug seiner Unterstützung der Biermann-Petition 64 sowie seine Selbstkritik bezüglich seines in der DDR kritisierten Stückes «Die Umsiedlerin» 65 sprechen für diese Ambivalenz zwischen künstlerischem und bürgerlichem Leben. Jürgen Flimm sieht in ihr den «abwehrende(n) Zynismus als innere Emigration», der sich durch die jahrelange Repression durch den Staat entwickelte 66 .

Die beiden Gesichter Müllers berühren sich jedoch in der These, die Jürgen Busche zum Thema seines Nachrufes gemacht hat:»Mit ihm war kein Staat zu machen« 67 . Diesen Gedanken hat auch Günther Rühle:»Er war einer, den man nicht einfangen konnte und sollte.« 68

Doch in einem Aspekt bleibt es zweifelhaft, ob Heiner Müller sich nicht einfangen ließ. Die meisten Autoren erwähnen Müllers Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit nicht. Thomas Assheuer geht jedoch darauf ein:»Über das Geheimste sprach Heiner Müller nicht(.) [...] Sein Geheimstes konnotierte mit Schuld, mit einem verstummten Gewissen, einem lebensgeschichtlich Verfehlten oder einem peinigenden, politischen Irrtum.« 69

Er findet eine Begründung darin, daß für Heiner Müller die »bürgerlichen Freiheiten« nur eine »Fußnote» gegenüber dem «großen Auftrag des pervertierten Kommunismus, den Lauf der Dinge und das Ende der Welt aufzuhalten» seien. Im Blick auf Müllers Beschäftigung mit dem Tod als essentiellem Element der (kommunistischen) Revolution, also seine Perspektive auf das Einzelne, weg von großen geschichtlichen Zusammenhängen, bleibt Assheuers These fraglich.

Biermann versucht einen mißbilligenden, aber entschuldigenden Ansatz:»Aber Müller saß damals auch in einer Isolationszelle. Die Gitterstäbe waren aus Armut und Einsamkeit gemacht. [...] (D)as ist der Grund, warum ich Müller sogar verteidigte, als herauskam, daß auch er zeitweise mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengearbeitet hat. 'Kein Mensch hält ewig...', sagte Brecht, '...einige halten etwas länger.« Biermann sieht Müllers Bruch mit seiner Ethik als menschliches Versagen an. Jürgen Flimm beurteilt, ähnlich wie Biermann, Müllers MfS-Kontakte als »notwendigen Opportunismus» 70 , der ihm Westreisen ermöglichte. Trotzdem bleibt die Zusammenarbeit mit dem DDR-Staat Verrat. Der, der von Verrätern schrieb, war selber einer.

Heiner Müller wollte eine Verbesserung der DDR-Kulturpolitik sowie der Situation einzelner Autoren erreichen. In einem Gespräch mit Thomas Assheuer sagt Müller, daß er die Staatssicherheit für einen legitimen Bestandteil der DDR hält. Er habe »bewußt« mit ihr zusammengearbeitet. 71

Müller versteckt sich auch hinter den Masken, um seine Antagonisten im realsozialistischen Theater der DDR zu täuschen. Doch täuschten, so Wolf Biermann, die Masken des Heiner Müller niemals einen menschlicheren Träger vor:»Auch Heiner Müller trug fast immer wechselnde Masken über seinem Gesicht. Aber so kam er mir vor:Dieser Mensch trug zumindest niemals ein Gesicht über der Maske.« 72

Der «Pendler zwischen den Welten» 73 trat auf als einer, der nicht dazugehörte. Dieser Überzeugung sind Jürgen Flimm und Peter Iden. Gerhard Stadelmaier hingegen sieht seine Heimat aufgrund der Ideologie, der Müller auch nach dem Jahr 1989 treu blieb, in der DDR. 74 Urs Jenny stellt Müllers Position ebenso dar:«Auf die bundesrepublikanische 'Gesellschaft, deren einzige Utopie das Werbefernsehen ist', blickte er, Nutznießer beträchtlicher Privilegien, mit nachsichtiger Verachtung herab. Die DDR jedoch, die er [...] zu seinem Land gemacht hatte, nannte er noch 1988 eine »Stellung, die gehalten werden muß«. Wieder zeigen sich die unterschiedlichen Perspektiven der Autoren:Flimm und Iden betrachten Müllers Aura, seine Ausstrahlung, Stadelmaier und Jenny blicken auf die politische Einstellung des Dichters.

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